Abélés, Marc – Anthropologie der Globalisierung

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Anthropologie der Globalisierung

Aus dem Französischen.

Ana A. Jovanović

Erstausgabe: 2014

308 Seiten.  Preis: 900 din.

 

Marc Abélés, Ethnologe und politischer Anthropologe, promovierte bei Claude Lévi Strauss. Von 1979 bis 1995 war er Forschungsleiter im Laboratorium für Sozial-Anthropologie in Paris. 1995 gründete er das Laboratorium für die Anthropologie gesellschaftlicher Institutionen und Organisationen (LAIOS), und war deren Direktor bis 2010. Heute ist Abélès Direktor des Französisch-Argentinischen Zentrums in Buenos Aires. In der Bibliothek des 20. Jahrhunderts erschien 2001 sein Buch Anthropologie des Staates, ebenso in der Übersetzung von Ana A. Jovanović.

In fünf Kapiteln dieses Buches (Von der Ökonomie zur Anthropologie, Anthropologie und die Herausforderung der Globalisierung, Globalisierung und der politische Aspekt Gewalt in der Globalisierung und Migration, Bürgerrechte und Zivilgesellschaft) gibt Marc Abélés einen Überblick über jene Themen, mit denen sich kritische Anthropologie der Globalisierung gegenwärtig beschäftigt und analysiert jene Phänomene, mit denen eine solcherart ausgerichtete Anthropologie konfrontiert wird.

„Eine der prägnantesten Formen der Modernität ist die Weise in der jeder von uns sich ständig zwischen verschiedenen Ebenen bewegt, zwischen dem Lokalen und dem Globalen. Allem Anschein nach prädestiniert dies gerade die politische Anthropologie für die Untersuchung solcher Phänomene. Politische Anthropologie erfasst diese Dialektik von innen, indem sie die Gebiete ausfindig macht, auf denen die Beschäftigung des Menschen mit Nahem und Alltäglichem unmittelbar verbunden ist mit seiner Beobachtung, dass er einer planetar ausgerichteten Welt angehört. Auch wenn die Anthropologie uns nichts Besonderes über die Globalisierung sagt, kann sie umgekehrt die Globalisierung als mehrdimensionalen Prozess ausleuchten, in dem traditionelle Muster keine Geltung mehr haben, die Verflechtungen zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiven, sowie die Formen des Handelns und Denkens des Menschen sich tiefgreifend auf dem ganzen Planeten verändern.“ (Aus dem Vorwort)

Vorwort

Die Worte „Mondialisierung und „Globalisierung“ sind mittlerweile so sehr im alltäglichen Sprachgebrauch verwurzelt, so dass ihre Verwendung, geht es um die Veränderungen in den modernen Gesellschaften, nicht zur Klärung beiträgt, sondern im Gegenteil die Verwirrung nur noch verstärkt. Deshalb ist es geraten diese Begriffe mit Vorsicht zu verwenden. Wir wissen, dass Worten keine Unschuld anhaftet, und dass die Inflation bestimmter Begriffe der Ausdruck des Zeitgeistes einer bestimmten Epoche ist: auch wenn sich in ihnen manchmal entscheidende Themen einer Zeit widerspiegeln, sind diese nicht notwendig das beste Material für eine tiefgehende Analyse. Allerdings ist es klar, dass diese Worte nicht vernachlässigt werden sollten; jede Taktik, die deren Umgehung zum Ziel hätte, könnte sich im Nachhinein als fatal für das Verständnis der Dinge erweisen.

Deshalb schlagen wir vor, gleich an erster Stelle zu definieren, was wir entschieden haben, als „Globalisierung“ zu bezeichnen: diesem Wort geben wir den Vorrang gegenüber dem Wort „Mondialisierung“, das vor allem im frankophonen Kontext verwendet wird. Um diese anfängliche Wahl zu rechtfertigen, werden wir gleich all jenen antworten die das französische Wort „Mondialisierung“ als richtige Entsprechung des englischen Wortes „Globalisierung“ betrachten. Ihrer Ansicht nach haben Engländer und Amerikaner dieses Wort gewählt, da es keine andere Ableitung des Wortes „world“ (Welt) gibt, außer einer, „worldwide“. Deshalb sei ein neuer Begriff gewählt worden, indem von dem Wort globe das Adjektiv global gebildet worden sei, sowie das Verb to globalize und das Substantiv globalization.  Die Bedeutung dieser drei Ableitungen entspricht den Französischen mondial, mondialiser, und mondialisation. Einer solchen Deutung zufolge wäre der Unterschied nur sprachlicher Natur – der Begriff wäre in beiden Kontexten der gleiche.

Doch wenn wir näher auf diese Frage eingehen, werden die Dinge komplexer. Jene die von Mondialisation sprechen, sind der Überzeugung, dass es sich um nichts Neues handelt. Sie behaupten, dass als „erste Mondialisierung“ die Epoche zwischen 1880 und 1914 betrachtet werden sollte, als es zu wirtschaftlichen Austausch und der Internationalisierung der Ökonomie in einem weiteren Rahmen kam. Andere gehen sogar weiter: demnach bezieht sich der Begriff der Mondialisierung auf eine weiter entfernte Vergangenheit. Die Vertreter dieser Richtung beziehen sich auf Braudel und dessen Begriff der Welt-Ökonomie, von diesem hervorragend angewandt für die Neuzeit in der Analyse der Welt des Mittelmeeres in der Zeit Philip des Zweiten, als im Mittelpunkt menschlicher Aktivitäten verschiedene Formen des Austausches standen, etwa wie jene in Venedig, Mailand, Genua oder Florenz.

Dennoch ist es logisch vorauszusetzen, dass wir heute mit einer bedeutend radikaleren Veränderung konfrontiert sind. Die Situation hat sich durch die Entstehung eines gemeinsamen Kapitalmarktes und des Triumph des Neoliberalismus dauerhaft verändert. Dies gilt für die postindustriellen Gesellschaften, ebenso wie für die Entwicklungsländer, die gezwungen sind eine Politik der strukturellen Anpassung zu führen. Gerade die Verwendung des Begriffs des „Globalen“ erscheint daher angemessen, das erreichte Niveau der Integration und der wechselseitigen Abhängigkeiten zu beschreiben. Dies drückt sich auch in den empirischen Beobachtungen des Einzelnen aus, das dieser einer globalen Welt angehört, unabhängig von seinem kulturellem Selbstverständnis und seiner territorialen Zuordnung.